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Über diese BRÜCKE musst Du gehen!

1974 gab es noch das geteilte Berlin. Ich kam von der Museumsinsel als junger Museumsmann zur Galerie Nierendorf in die City West hinüber. Es galt, für die Ausstellung Realismus und Sachlichkeit. Aspekte deutscher Kunst 1919-1933 um Leihgaben aus privater Hand zu werben. Empfangen wurde ich wie der verlorene Sohn vom anderen Stern. Das war meine erste, nachhaltige Begegnung mit Florian Karsch und seiner Ehefrau Inge. Im Schiller-Theater zu abendlicher Stunde dann als Krönung Samuel Becketts Das letzte Band, mit Martin Held als Alleinunterhalter. Ein unvergesslicher, mit Kunst und Berliner Humor durchtränkter Tag. Unter den zugesagten Leihgaben befand sich auch die irrwitzige Dada-Collage Daum heiratet von George Grosz, die mir danach Karschs Ziehsohn Ergün Özdemir durch den Tränen-Palast überbrachte. Jahre später stand 1986 die große Schau Expressionisten. Die Avantgarde in Deutschland 1905-1919 im Stammhaus der Nationalgalerie an der Bodestraße an. Ein Riesenerfolg war das, getragen vom Besucherstrom aus Ost und West. Manch einer erblickte in der Retrospektive die längst fällige „Ehrenrettung des Expressionismus“. Florian Karsch lieh wiederum großzügig drei Werke, darunter die einmalige, übermalte Lithographie Promenade vor dem Café von Ernst Ludwig Kirchner, ein Meisterwerk des Berliner Großstadt-Expressionismus. Die Welt resümierte damals im Feuilleton die Ostberliner Ausstellung mit den hämischen Worten: „In locker geschnittener Zwangsjacke mit Fledermausflügeln“. Das neidische Zitat wurde Florian Karsch untergeschoben, der aber konnte nun wahrlich nichts dafür!

Im vereinten Berlin kehre ich seit Jahr und Tag als regelmäßiger Gast in der Hardenbergstraße 19 ein. Was wäre dieser verwunschene Ort der Klassischen Moderne in Berlin ohne seinen Senior-Chef, der mit dem Amulett am blütenweißen Hemd residiert, in aller Offenheit empfängt, beim Kaffee zum lebhaften Diskurs einlädt und gelegentlich auch den Gast im Gespräch porträtiert. In diesem Refugium Galerie fühlte ich mich auch immer en famille. Höhepunkte blieben bis heute die monographischen wie Überblicksausstellungen der Künstler der Brücke, Otto Mueller, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Emil Nolde als Patriarchen nicht ausgenommen. Sie sind ein Augenschmaus, den ich als Kunsthistoriker gern immer wieder genieße. Unvergesslich auch 2008 das fulminante Expressionale-Festival im Kunstzentrum Park-Kolonnaden am Potsdamer Platz. Florian Karsch hat es mit seiner Leidenschaft zur Kunst und geschäftlicher Tüchtigkeit über fünfzig Jahre hinweg geschafft, speziell mit seiner Domäne Brücke die Schätze seiner Vorgänger zu mehren, aufzuschließen und in die Welt der Sammler und Museen zu bringen. 1920 begann alles mit den Brüdern Karl und Josef Nierendorf, bevor Florian Karsch, der Stiefsohn Josef Nierendorfs, 1955 die weiteren, noch unsicheren Geschicke der Galerie fest und zielstrebig in die Hand nahm und erfolgreich in das neue Jahrhundert führte.

Nach zehn Jahren jetzt wieder einmal der konzentrierte Auftritt der Brücke – Kunst am vertrauten Orte. Unterm Geteilten Himmel in der Neuen Nationalgalerie mussten die Meisterwerke des Expressionismus leider für  anderthalb Jahre in das Magazin verbannt werden, und das als Ersatz mögliche Brücke-Museum Berlin liegt fernab im Grunewald. Wer heute die Kunst der Brücke sehen will, der gelangt, aus Berlins Mitte kommend, auf kürzestem Wege zur Galerie Nierendorf am Bahnhof Zoo. Im Zentrum der aktuellen Präsentation hängt das Gemälde Zwei kauernde Mädchen von Otto Mueller aus dem Jahre 1924, diese Pyramide der Zweisamkeit im verlorenen Paradies. Das Meisterwerk aus Karschs privater Sammlung habe ich mir immer für die Nationalgalerie gewünscht, lange unverkäuflich, jetzt unerschwinglich. Den Reichtum der seltenen Steindrucke hat der Kunsthändler in seinem Werkverzeichnis der Graphik des Künstlers gründlich festgehalten. Fernab vom stillen Arkadien des Einzelgängers Otto Mueller hat der ältere Magier Emil Nolde aus dem hohen Norden das ursprünglich „Primitive“ in der Fremde gesucht. Exotische Köpfe und in der Farbe glühende Landschaften, von seiner Südsee-Reise 1914 aus Papua Neuguinea nach Seebüll heimgebracht. Ernst Ludwig Kirchner ist da von ganz anderem, verschärftem Formkaliber im Erleben des Wirklichen, das den Konflikt nicht scheute. Er hatte das sinnlich Runde seiner frühen Dresdner Mädchenakte mit Dodo bereits hinter sich gelassen, als er im nervenden Berlin in eckigen Hieroglyphen den Eros der Metropole tanzen ließ. Karl Schmidt-Rottluff zeigt sich als Holzschneider des kategorischen Imperativs, der kantig-verspannte Zeichen für Figur und Landschaft zu Monumenten in Schwarz-Weiß ausformte. Überhaupt bestätigt die Ausstellung wieder einmal, dass mit der Brücke exemplarisch die Wiedergeburt des Holzschnittes von höchstem Range in Europa gelang. Die Liebhaber feiner, selten gewordener druckgraphischer Blätter kommen in der Galerie Nierendorf voll auf ihre Kosten, auch was die Preise anlangt. In Vitrinen sind ergänzend zu den vorzüglichen Blättern auf den Wänden einige wichtige Mappen-Werke der Brücke-Künstler zu sehen, so Heckels Elf Holzschnitte 1912-1919, einige wichtige BlätterausOtto Muellers Zigeuner-Mappe, Schmidt-Rottluffs 10 Holzschnitte sowie von Pechstein die flüchtigen Reisebilder aus Italien und der Südsee.

Die Brücke-Kunst hat sich vor 100 Jahren nie einem Stil verpflichtet, war sie doch Ausdruck einer neuen, unverfälschten Lebensform, die aus dem expressiven Erlebnis des Gesehenen heraus kam. Das Erstaunlichste daran ist: von der ursprünglichen Frische und Intensität dieser Aquarelle und Zeichnungen hat sich auch heute noch rein gar nichts verloren. Der Brücke gebührtsodas Siegel einer vitalen, zeitlos gebliebenen Kunst, die von einem zum anderen Ufer und damit hinüber zum Menschen führt.

 

Roland März

 

 

 

 











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