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Ernst Barlach

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bilden sich in Kunst und Literatur verschiedene exklusive Strömungen heraus, die letztlich alle ein gemeinsames Ziel haben: Die Rehabilitation des Geheimnisvollen. Ziel solcher künstlerischer Positionen ist die Befreiung des Menschen von den Fesseln der realen, der sichtbaren, der materiellen Welt zu Gunsten einer dahinter liegenden, höheren Wirklichkeit. Und so kommt ein neues Ich- und Weltbewußtsein auf, das sich nicht mehr allein aus den Quellen der Wissenschaft und des rationalen Weltbildes nährt, sondern durch Rückgriff auf mythische, archaische und kultische Vorbilder das menschliche Subjekt zu seiner eigentlichen Bestimmung zurückzuführen sucht.

Ernst Barlach hat seine künstlerische Aufgabe in genau diesem Kontext verstanden. Er tritt den Erschütterungen seiner Zeit mit einer symbolisch-expressionistischen Bildsprache entgegen, die auf eine übergeordnete Raum- und Zeitebene verweist. Seine Figuren sind alle Suchende und Zweifelnde, in denen die Stationen eines existentiellen Kampfes aufleuchten. Der Schrei in die Welt ist ihre dominierende Geste. Als Einzelne oder Ausgesetzte streben sie dahin, die Kulissenwelt der „Schön- und Scheingeistigkeit“ zu verlassen und jenseits aller Trugbilder die Umrisse einer wahren und unverfälschten Existenz zu erblicken. Hinter diesem künstlerischen Konzept steht die Forderung des Künstlers an den Betrachter, sich auf den Weg zu machen, der auch dann noch sinnbringend ist, wenn ein Ziel nie erreicht wird, denn nicht allein das Ziel, sondern schon ein Aufbruch und ein Weg der Wandlung bestimmen den Sinn der menschlichen Existenz.

In der Ausstellung: „Ernst Barlach “ der Galerie Nierendorf erleben wir den Künstler als einen Menschen, in dem sich alle Wirren einer schwankenden und umkämpften Seele abbilden, einer Seele, die sich im permanenten Schwebezustand zwischen einer diffusen Hoffnung auf Erlösung und konkreter Zukunftseröffnung befindet. Selbst als er vom Verbot der Berufsausübung bedroht war, hat der Visionär Ernst Barlach das „Kommen des noch Unbekannten“ als einen Beweggrund seines Schaffens beschrieben. Und so hat sich das Werk Barlachs bis ins Alter hinein eine ins Utopische drängende Jugend erhalten.

Die menschliche Figur bleibt dabei seine „künstlerische Muttersprache“ und in der allgemeingültigen Gebärde findet er den Ausdruck des zutiefst Menschlichen. „Ich bin viel Christ, viel Heide, viel Buddhist, viel, viel sonst. Nordisch, gespenstisch, hexensüchtig“ schreibt Barlach 1916 über sich selbst. Er verstand sich als Gottsucher, durchdrungen von dem Bedürfnis nach spiritueller Welterfahrung und er fand sie in der ganzheitlichen Verbindung von Körper und Geist.

1917, im Katalog der ersten Einzelausstellung Ernst Barlachs, wurden seine Figuren dann auch treffend beschrieben als „Gestalten, die zur Hälfte in eine andere Welt hineinragen, mit ihren Stimmen aber die Sprache unseres eigenen Lebens sprechen“. Und gerade deshalb stimmt das, was Bert Brecht 1952 notierte, nachdem er die große Barlach-Ausstellung der Akademie der Künste der DDR besucht hatte: „Ich halte Barlach für einen der größten Bildhauer, die wir Deutschen gehabt haben. Der Wurf, die Bedeutung der Aussage, das handwerkliche Ingenium, Schönheit ohne Beschönigung, Größe ohne Gerecktheit, Harmonie ohne Glätte, Lebenskraft ohne Brutalität machen Barlachs Werke zu Meisterwerken.“

 

Dr. Jürgen Doppelstein (Vorstand Ernst Barlach Gesellschaft, Hamburg)

 

 

 











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